In seinem aktuellen Beitrag analysiert Dr. Wolfgang Merz die Spannungsfelder der europäischen Finanzpolitik zwischen wachsendem Investitionsdruck – etwa in Verteidigung und Infrastruktur – und dem Anspruch solider Staatsfinanzen. Er skizziert vier mögliche Lösungsansätze und betont: Die neuen EU-Fiskalregeln bieten bereits heute Spielräume – entscheidend sei, wie verantwortungsvoll die Mitgliedstaaten diese nutzen.

Dr. Wolfgang Merz

Die jüngst reformierten EU-Fiskalregeln stehen vor einem ernsthaften Stresstest. Erst 2024 wurden nach langjährigen Verhandlungen neue Regeln vereinbart. Wesentliche Bestandteile sind ein Schuldentragfähigkeitsziel und die Verpflichtung jedes Mitgliedstaats zur Vorlage mittelfristiger fiskal-struktureller Pläne. Die Referenzwerte von 3 % des BIP für das öffentliche Defizit und 60 % für den öffentlichen Schuldenstand bleiben zentral. Deutschland setzte dabei stets auf solide Finanzen als vorrangiges Ziel.

Derzeit entstehen jedoch erhebliche zusätzliche öffentliche Investitionsbedarfe, besonders in den Bereichen Verteidigung und Infrastruktur, die die Einhaltung der neuen Fiskalregeln erschweren. Vier denkbare Lösungsansätze könnten hier Abhilfe schaffen, ohne die Grundprinzipien der Regeln grundsätzlich infrage zu stellen:

1) Neuverhandlung der Fiskalregeln Diese Option erscheint wenig realistisch, da stabilitätsorientierte Mitgliedsländer und die Europäische Kommission neue Verhandlungen vermeiden möchten. Dennoch könnte eine Diskussion über die Herausnahme großer Investitionsbereiche wie Verteidigung, Klima oder Digitalisierung aus den Regeln entstehen. Dies birgt jedoch das Risiko einer „kreativen Buchführung“ und einer Ausweitung des Investitionsbegriffs.

2) Maximale Nutzung bestehender Flexibilitäten Bereits heute können Mitgliedstaaten über die nationale Ausweichklausel zusätzliche 1,5 % des BIP für Verteidigungsausgaben finanzieren, was Deutschland und 15 weitere Mitgliedstaaten beantragt haben. Die Gefahr liegt in der dauerhaften Verstetigung solcher Ausnahmen, was langfristig zu einer Schwächung der Fiskaldisziplin führen könnte.

3) Schaffung weiterer kreditfinanzierter EU-Fonds Analog zum Covid-Fonds könnte ein neuer kreditfinanzierter EU-Fonds eingerichtet werden, der nationale Haushalte entlastet und gemeinsame europäische Projekte finanziert. Diese Idee stößt jedoch auf Widerstand stabilitätsorientierter Mitgliedstaaten. Die Gefahr einer Transferunion und schleppender Mittelabrufe besteht, gleichzeitig bietet sie aber Chancen für koordinierte europäische Investitionen und Synergieeffekte.

4) Erweiterung der Spielräume im EU-Haushalt Eine weitere Option wäre, den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU zugunsten der Verteidigung umzuschichten oder zusätzliche Einnahmen zu generieren, etwa durch CO2-Grenzausgleichsmechanismen, Digitalbesteuerung oder den Emissionshandel. Allerdings gestaltet sich dies politisch und international komplex, insbesondere angesichts erforderlicher Einstimmigkeit und sensibler Verhandlungen, etwa mit den USA.

Gesamtbeurteilung: Finanzstabilität als zentrale Grenze 

Zusammenfassend sollten die bereits bestehenden Optionen ausreichend Flexibilität bieten, um zusätzliche Investitionsbedarfe zu finanzieren. Wichtig ist dabei, zunächst nationale Einsparpotenziale zu identifizieren und Investitionen stärker europäisch zu koordinieren, um Synergien zu schaffen. Zusätzliche Kreditaufnahmen könnten hingegen die Finanzstabilität in der EU und der Eurozone gefährden. Dies würde insbesondere dann problematisch, wenn angestrebte Wachstumsraten nicht erreicht werden und dadurch Kapitalmärkte erneut die Stabilität kritisch hinterfragen.

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Der Autor Dr. Wolfgang Merz ist Berater, Dozent und Autor mit umfassender Erfahrung in nationalen, europäischen und internationalen Prozessen. Als ehemaliger leitender Mitarbeiter im Bundesministerium der Finanzen und Economist beim Internationalen Währungsfonds bietet er strategische Beratung, praxisnahe Bildung und fundierte Publikationen an. Sein Fokus liegt auf der Verbindung von Ökonomie und Politik, um Organisationen und Individuen in einer vernetzten Welt zu unterstützen.  Mehr unter: www.wolfgang-merz.de

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